
Aussteiger
Aussteiger
Warum nun ein extra Beitrag über Aussteiger?
Ja, ich habe schon an anderer Stelle über das Aussteigen geschrieben, auch über die unterschiedlichen Arten von Aussteiger. Heute möchte ich aber noch intensiver auf dieses Thema eingehen, weil es immer noch sehr viele Menschen gibt, die – teilweise zu Unrecht – Aussteiger verurteilen.
Verurteilen, weil sie denken, dass Aussteiger die soziale Struktur belasten (ALG, Hartz IV usw.). Das ist aber so nicht richtig, denn wenn man meine Beiträge gelesen hat weiß man, dass man durch das soziale Netz fällt, wenn man sich in Deutschland abmeldet (Update 06.07.2018). Man hat keinerlei Ansprüche mehr. Und selbst diejenigen, die noch in Deutschland gemeldet sind, müssen sich ja dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen und damit anwesend sein. Sobald sie das Land verlassen, stellt die Arbeitsagentur/ der Jobcenter die Zahlung ein, das ist dann wie unbezahlter Urlaub.
So und diejenigen, die „nur“ aus ihrem Job aussteigen und sich arbeitslos melden… nun ja, diese Menschen sind in meinen Augen tatsächlich keine Aussteiger, sondern missbrauchen eventuell das soziale Netz (aber Achtung hier gibt es große Unterschiede). Wobei es auch hier welche gibt, die sich selbst versorgen, also keine sozialen Leistungen in Anspruch nehmen. Sie bezahlen ihre Krankenversicherung selbst, ihre Rentenbeiträge usw. Sie finanzieren sich also aus privaten Mitteln (Privatier).
Privatier: Als Privatier, auch Privatus und weiblich Privata bzw. Privatière, gilt allgemein eine Person, die finanziell so gut gestellt ist, dass sie nicht darauf angewiesen ist, zur Deckung ihrer materiellen Bedürfnisse einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, unabhängig davon, wie sie zu dem Vermögen gekommen ist.
(Quelle: Wikipedia)
Wikipedia kann bei der Begrifflichkeit der Aussteiger helfen: Aussteiger sind Menschen, die sich durch ihr Verhalten von den gesellschaftlichen Normen befreien möchten, indem sie ihre Lebenswelt innerlich und/ oder äußerlich verlassen.
Die Lebenswelt verlassen… finde ich sehr schön ausgedrückt. Egal wie ich aussteige, ich lasse mein altes Leben und meine alte Welt zurück. Bei dieser Definition kann man natürlich auch mal in die Vergangenheit schauen und merkt sehr schnell, dass es immer wieder Menschen gab – auch schon in der Antike, hier wird Diogenes angeführt – die ausgestiegen sind, auf ganz unterschiedliche Art und Weise. In der heutigen Zeit sind es die Hippies oder die New-Age-Bewegung. Oder wenn man Henning Jauernig auf seinem Blog Young Money glaubt, ist es einfach nur mal wieder ein Trend der aus den USA zu uns überschwappt. Ich gehe damit nicht konform, ich glaube eher, dass sich in den Köpfen der Menschen etwas ändert, die ihre Großeltern oder Eltern sehen, wie sie ihr Leben lang geschufftet haben, dann ihr Dasein in der Rente fristen (die einen aktiver, als die anderen) und schließlich im Altersheim ihre letzten Tage verleben. Sie haben Tag für Tag gearbeitet, haben Kinder gezeugt, ein Haus gebaut, für die Enkel gesorgt und dabei ganz sich selbst vergessen. Klar, das muss kein schlechtes Leben sein, aber wenn man dann eben nach 60 Jahren merkt, dass es da noch mehr gibt, ist es wohl zu spät. Die Welt öffnet sich, die Menschen schauen über den Tellerrand hinaus, es bieten sich Möglichkeiten.
Ich glaube es ist ganz einfach nur an der Zeit neue Wege zu gehen. Die Menschen sind übersättigt von all dem Konsum, dem nie endenden Angebot. Alles wird immer größer, besser, toller. Jedenfalls verspricht das die Werbung. Doch in unseren Herzen und Seelen verarmen wir immer mehr. Diese Gesellschaft saugt uns aus.
Äußere Ausstieg
Was aber bedeutet nun die äußere Lebenswelt?
Hierunter fällt alles was mich im „Außen“ hält wie Erwerbstätigkeit, Freunde, Familie, Religion, das politische System oder andere Bewegungen, der Kapitalismus, das soziale Netz. Möchte ich also aus meiner äußeren Welt aussteigen, dann bedeutet es, dass ich mindestens einem den Rücken kehre. Das ist eben auch sehr oft mit einem Ortswechsel verbunden und kann sogar zur Aufgabe der Staatsbürgerschaft führen (siehe hier auch Flaggen-Theorie).
Innerer Ausstieg
Unsere äußere Welt hat natürlich auch Einfluss auf unsere innere Lebenswelt. Sie bestimmt unsere Werte und Normen. Das passiert ganz automatisch durch unsere Eltern und deren Erziehung. Wir lernen durch unsere Eltern was als richtig oder falsch angesehen wird. Wir brauchen nun nicht darüber diskutieren, dass Erziehung subjektiv ist und dabei ziemlich verrückte Sachen rauskommen.
Auf jeden Fall hat unsere Kindheit großen Einfluss auf unser späteres Leben. Es gibt Menschen, die das niemals in Frage stellen und es gibt andere, die diese vermittelten Werte und Normen anzweifeln. Und manche entwickeln sich soweit, dass sie irgendwann zu der Erkenntnis kommen, dass ihre eigenen Vorstellungen ihrer Lebenswelt überhaupt gar nicht mehr mit dem übereinstimmen, was in ihrer Gesellschaft gelebt und vermittelt wird.
Gutes Bespiel – wie ich finde – ist Fernsehen. Ich schaue generell gerne Filme, allerdings ausgewählte, die ich mir aussuche. Nun muss ich dazu aber den Fernseher anschalten und er läuft ungefähr 1 Minute, bis ich auf meine gewünschte App umschalten kann. Und das was ich dort sehe ist so grausam, dass es mir wehtut. Diese 1 Minute ist für mich die Hölle und da ist es egal ob irgendeine Werbung läuft oder so eine Reality-Show. Wenn ich mir nun vorstelle, dass halb Deutschland vor der Glotze hockt und sich das Zeug Abend für Abend reinpfeift… naja… Was für Werte und Normen wird der nächste Generation vermittelt? Diesen Gedanken finde ich sehr traurig, weil ich den Menschen für sehr wertvoll halte. Der Mensch hat so viel Potential… Ja und dann wird mir klar, dass ich hier nicht mehr hinein passe. Das ist nicht mein Weg und ich möchte das nicht mehr unterstützen.
Das war nur ein Bespiel, das könnte ich weiter fortführen mit dem Kapitalismus usw. Es ist also nicht nur ein Bereich, mit dem ich mich nicht mehr identifizieren kann, sondern sehr viele. Es ist oft schon so weit, dass ich mit Menschen in meinem alltäglichen Umfeld nicht mehr sprechen kann, außer Smalltalk. Sie bzw. ich lebe in einer anderen Welt.
Selbstbestimmtes Leben
Gut, es gibt also Aussteiger, die sowohl ihre äußere Lebenswelt aufgeben, als auch die innere, die eben damit beginnen ihre Werte und Normen zu hinterfragen und neu zu bilden. Es gibt Aussteiger, die nur die äußere Welt ändern und hier vielleicht nur einen Bereich wie z.B. die Erwerbstätigkeit.
Aussteigen ist eine sehr persönliche Definition vom Wunsch etwas zu verändern. In meinem ersten Beitrag habe ich davon geschrieben, dass ich mit diesem System nicht klarkomme, dass ich ersticke und so einfach nicht mehr weitermachen kann. Das habe ich damals einfach so „dahin“ geschrieben, fast wie ein kleines Kind, dass seine Suppe nicht essen mag.
Denn sind wir mal ehrlich, ganz egal wohin ich auf dieser Welt auch gehe, jedes Land hat seine Strukturen, seine Werte und seinen politischen Hintergrund. Überall sitzen korrupte Politiker, die ihr eigenes Wohl vorziehen. So sind Menschen nun mal. Da ist Deutschland noch relativ gut aufgestellt. Also von diesem Standpunkt aus kann ich gehen wohin ich will.
Was ich jedoch für mich tun kann ist die Fesseln abwerfen, die mich hier so sehr einbinden. Der Teufelskreis von „haben wollen“ und „verdienen müssen“. Für alles Materielle muss ich bezahlen, je mehr ich davon habe, desto mehr muss ich leisten und wofür? Was habe ich von einem dicken Auto? Und hier sind wir wieder bei der bekannten Komfortzone, die heute unendlich aufgebläht ist.
Ich verbringe am Tag mindestens 8 Stunden auf der Arbeit, also einen Großteil meines Tages. Ich für mich habe nun entdeckt, dass ich den Wert meiner Zeit höher einschätze wie diese Komfortzone, die ich mir aufgebaut habe. Ich habe einfach überlegt, was mir in meinem vergangen Leben wirklich Frieden und Glück geschenkt hat. Das waren keine Erfolge bei der Arbeit oder das Gefühl in einer supermodernen Wohnung zu sitzen. Es waren andere Momente. Es waren Urlaube, neue Länder, fremde Menschen, einfach die Stille und Ruhe des Augenblicks, der Ausblick aus meinem Wohnzimmer, es waren diese leisen unscheinbaren Momente, die sich ins Gedächtnis brennen. Unser Leben ist so verdammt kurz.
Mein Gedanke auszusteigen ist eigentlich nur eine Steigerung von dem was schon seit 20 Jahren in mir arbeitet. Es fing harmlos an, ich habe aufgehört in meiner Freizeit Dinge zu tun, weil ich mich verpflichtet fühlte (z.B. auf einen Geburtstag gehen, obwohl ich keine Lust hatte). Tja und heute plane ich in 3 Jahren auszusteigen. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr wird mir bewusst, dass mein Aussteigen nur die logische Schlussfolgerung ist. Dass ich unaufhörlich darauf zusteuerte und vielleicht nie das ziellose Floß auf dem reißenden Fluss war (siehe hierzu auch mein Beitrag Ziele setzen)! Ob man einen roten Faden haben kann, ohne davon zu wissen?
DEIN WEG!
So! Ich glaube durch diesen Beitrag wird deutlich, dass man das „Aussteigen“ nicht einfach in eine Schublade stecken kann. Es funktioniert nicht. Aussteiger sind Menschen, die sich dazu entschließen ihre Lebenswelt gravierend zu ändern und die Komfortzone zu verlassen. Wie sie das anstellen und wie sie es umsetzen ist sehr unterschiedlich. Jeder Mensch muss für sich den richtigen Weg finden, deshalb gibt es auch kein falsch oder richtig. Und ganz wichtig: Aus diesem Grund kann dir auch niemand die Frage „Wie steigt man richtig aus?“ beantworten. Es gibt kein richtig oder falsch, es gibt nur DEINEN WEG!
Für mich ist Aussteigen ein selbstbestimmtes Leben ohne in ein System gepresst zu sein. Und mein Ziel ist es diversity zu leben und auch zuzulassen. Fremde Länder sehen, interessante Menschen und ihr Leben kennenlernen. Ich möchte mich reduzieren auf ein Minimum und dabei das Größte entdecken: Mich selbst.
Das ist aber so nicht richtig, denn wenn man meine Beiträge gelesen hat weiß man, dass man durch das soziale Netz fällt, wenn man sich in Deutschland abmeldet.
Diesen Satz muss ich korrigieren. Das stimmt nicht ganz, denn:
Mittellose, nicht sesshafte Menschen (Durchreisende, Landfahrer, Personen ohne festen Wohnsitz) erhalten bei der jeweils zuständigen Leistungsstelle (z.B. Sozialamt, Optionskommune, Jobcenter) einen so genannten Tagessatz. Dabei handelt es sich um einen Geldbetrag, der sich an den Regelleistungen des Arbeitslosengeldes II bzw. der Hilfe zum Lebensunterhalt orientiert und für einen Tag oder für mehrere Tage bemessen ist.
Die Geldleistung zum Lebensunterhalt wird jeweils nur für kurze Zeiträume gezahlt, da im Regelfalle davon auszugehen ist, dass die Antragsteller weiter wandern und zeitnah bei anderen Leistungsträgern Tagessätze erhalten können. Weiter gehende Informationen und die erforderlichen Anträge zur Gewährung von Sozialleistungen an nicht sesshafte Menschen erhalten Sie bei der jeweils zuständigen Zahlstelle.
Mehr Informationen über die Nichtsesshaftenhilfe/ Wohnungslosenhilfe erhält man bei Wikipedia.